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Übersetzung aus dem Russischen von Katharina Mechnikova
Grün hinter den Ohren
Ach, die arme Menschheit macht gleiche Fehler jahrelang.
Immer wieder Qual und Pein auf dem Weg nach vorn.
Lang ist die Historie, aber unser Vaterland
Ist zum Unglück immer noch grün hinter den Ohr´n.
Die Erziehung fällt sehr schwer – Tränen, Groll und Ärgernis,
Selbst mit guten Absichten – schlagen grün und blau.
Freiheit riecht nach Weihrauchharz, Freiheit stinkt nach Dung und Mist.
Fehlverhalten wird bestraft, Ungehorsam auch.
Kein Querdenken ist erlaubt, schwarze Schafe müssen raus,
Alle werden von dem Zar ständig überwacht.
Man kann gut und folgsam sein oder sterben – wähle aus.
Strafkommandos arbeiten fleißig Tag und Nacht.
Eines Tages gehen wir, eines Tages wandern wir,
Fürs Gedenken, für den Weg finden wir die Zeit.
Was für Stimmen hört man im Blätterrascheln in dem Wind? –
Stimmen der Erinnerung, der Vergangenheit.
Berg Sekirnaja
Berg Sekirnaja – diesen Namen trägt ein Hügel auf der Solowezki-Insel im Weißen Meer im Norden des europäischen Teils von Russland. Hier befand sich in Jahren 1920-1930 die Strafzelle, eine Abteilung des Solowezki-Haftlagers. Auf dem Berg Sekirnaja wurden die Häftlinge gefoltert und erschossen.
Eines Tages schick´ ich dir ein Blatt vom Baum,
Unter dem meine Leiche begraben wird.
Eines Tages, wenn ich noch am Leben bin,
Kurz bevor das Kommando mich erschießt.
Es ist windig da oben auf dem Berg,
Und von dort gibt es keinen Weg zurück.
Es ist kalt auf dem Berg Sekirnaja.
Falls ich doch mal zurückkomme, wird es warm.
Jede Woche schreib´ ich einen langen Brief,
Doch die Post kommt nur ein paar Mal pro Jahr.
Ich erzähle dir von dem kalten Meer,
Von dem Nebel und von dem dunklen Wald.
Über Weiteres darf man nicht erzähl´n,
Alles Weitere brauchst du nicht zu wiss´n.
Eines Tages schick´ ich dir ein Blatt vom Baum
Und ein Feldblumensträußchen, selbst gepflückt.
Und ein zweites pflück´ ich für mein Mütterchen.
Ach, die Blumen sind hier so schön und bunt!
Doch die Tage sind leider grau und trüb,
Die Gedanken sind leider auch nicht hell.
Eines Tages blüht wieder das bunte Feld,
Neben dem meine Leiche begraben wird.
Es ist kalt auf dem Berg Sekirnaja,
Falls ich doch mal zurückkomme, wird es warm.
Mein Herz
Lebwohl, mein Herzchen, schreib´ mir ein Briefchen.
Ich hoffe aber auf ein Wiederseh´n.
Dein Weg führt nach Norden zu den hohen Fichten,
Dein Weg führt nach Norden zum eiskalten See.
Die schmerzenden Wunden, das Jammern und Stöhnen,
Die grausamen Menschen – das schadet dir nicht,
Denn du wirst, mein Herzchen, dem Bösen entkommen,
Du schaffst es, mein Herzchen, ich glaube an dich.
Hol´ dir ein Steinchen von dem Meeresufer –
Es bringt dir Fröhlichkeit, es bringt dir Glück.
Doch bitte, mein Herzchen, du musst es versuchen –
Du schaffst es, mein Herzchen, du kommst noch zurück.
Vergessene Lieder, ungeborene Kinder,
Verlorene Briefe, unbehandelter Schmerz…
Du kannst nicht versterben, du wirst nicht verschwinden,
Du kommst noch nach Hause, ich weiß es, mein Herz.
Für Nadia
Der weibliche Vorname „Nadia“ ist eine Abkürzung von „Nadeschda“ und bedeutet „die Hoffnungsvolle, die Hoffnung“.
Meine Mutter oder Schwester bist du nicht,
Aber ich hab´ keine Chancen ohne dich,
Mit dir ertrag´ ich all den Qual und Pein,
Wichtig ist immer brav und treu zu sein.
Mein Weg ist sehr gefährlich und sehr lang.
Wer weiß, ob ich das Ziel erreichen kann,
Wer weiß, ob dieses dünne Eis zerbricht,
Ob ich noch überlebe oder nicht.
Du, mein Herz, bist der Hoffnungsstrahl in meinem Leben,
Du, mein Herz, – ohne dich kann ich nicht weitergehen.
Komm, mein Herz, zieh´ deinen dünnen alten Mantel an
Und grüße uns, die Verfluchten.
Du, mein Herz, bist der Lichtblick in meiner Misere,
Du, mein Herz, – auch wenn wir uns nie mehr wiedersehen,
Ohne dich sieht die Polarnacht noch viel dunkler aus
Für uns, für all´ die Verdammten.
Meine Tochter oder Nichte bist du nicht,
Aber ich schreib´ wieder einen Brief für dich:
Du lest bestimmt die Zeichen und den Cod´,
Wichtig ist, dass man Antwort auch bekommt.
Man braucht für meinen Weg viel Kraft und Mut,
Bald wird der Himmel wieder rot wie Blut,
Wer weiß, ob ich die Sonne noch mal seh´
Oder ich meinen letzten Gang schon geh´.
Du, mein Herz, bist der Hoffnungsstrahl in meinem Leben,
Du, mein Herz, – ohne dich kann ich nicht weitergehen.
Komm, mein Herz, zieh´ deinen dünnen alten Mantel an
Und grüße uns, die Verfluchten.
Du, mein Herz, bist der Lichtblick in meiner Misere,
Du, mein Herz, – auch wenn wir uns nie mehr wiedersehen,
Ohne dich sieht die Polarnacht noch viel dunkler aus
Für uns, für all´ die Verdammten.
Du, mein Herz, bist die Hoffnung in unseren Leben,
Du, mein Herz, hilfst uns allen hier nicht aufzugeben.
Komm, mein Herz, zieh´ deinen schönen neuen Mantel an
Und grüße uns, die Rückkehrer.